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Werkstatt-Galerie M. Greiter – Österreich-Hörbranz

Donnerstag, 13. Oktober 2005, um 19.30 Uhr

„Gibt es heute überhaupt noch Feste? Feste, die über das bloße unverbindliche Zusammensitzen, das gemeinsame Essen und Trinken hinausgehen?

Diese beiden Sätze, ausgesprochen von Frieda Martha während meines Besuchs vor einer Woche in ihrem Wohnort Maria-Thann in der Gemeinde Hergatz, haben mich aufhorchen lassen. Das ist für mich der Schüssel zu den hier gezeigten Bildern und Collagen – ohne ihn wäre ich vielleicht gar nicht auf das Werk von Frieda Martha angesprungen.

„Feste“ – bei dem Gedanken daran machen sich, denke ich mal, so ziemlich bei jedem Menschen die unterschiedlichsten Vorstellungen breit. Zum großen Teil genährt auf Grund der eigenen Erfahrungen und Erinnerungen, zum anderen durch Gelesenes und Gehörtes angereichert oder aber auf dem Wege der Phantasie in das Reich des Möglichen befördert.

Der Ablauf eines Festes ist für gewöhnlich an einige Regeln geknüpft, sofern es mehr darstellt als bereits erwähntes unverbindliches Zusammensitzen. Bei längerem Nachdenken darüber bedeutet letzteres tatsächlich kein Fest im eigentlichen Sinne. Ich habe am vergangenen Sonntagmorgen auf Schweizer Radio DRS 11 die Predigt eines katholischen Pfarrers aus Chur gehört. Es ging um ein Fest, das Jesus veranstalten wollte, und seine dabei gemachten Erfahrungen in einem Gleichnis überliefert sind. Er hatte alle seine Gäste eingeladen, doch einer nach dem anderen sagte ab.

Der eine musste sein soeben gekauftes Ackerland besichtigen, der nächste sein gerade erworbenes Ochsengespann ausprobieren. Fadenscheinige Ausreden würden wir heute vielleicht sagen, doch offensichtlich gab es auch zu diesen frühen Zeiten Wichtigeres zu tun als sich damals oft noch tagelang mit dem Feiern eines Festes aufzuhalten. Jesus zeigte sich über diese Missachtung wenig erfreut und schickte seinen Diener los, um alle Armen, Bettler und Landstreicher einzuladen, die er innerhalb der Stadt und nötigenfalls auch vor den Stadttoren finden konnte. Denn sein Fest sollte eines für und mit Menschen sein, die seine Einladung zu schätzen wissen.

Ich habe Frieda Martha vor einigen Wochen während der Ausstellung „Kraft und Stille“ des Landkreises Ravensburg in der Städtischen Galerie in Wangen kennen gelernt. Gleichzeitig damit ihre auch hier installierte mehrteilige Arbeit „Brot und Wein“, die in Anlehnung zum eben Erzählten ausdrückt, dass ein Fest nicht nbedingt durch seinen materiellen Reichtum zu einem solchen aufsteigt, sondern vor allem im Wesentlichen seinen Kern hat.

Feste wiederum anderer Art können die obligaten und mit einer mehr oder weniger strengen Etikette versehenen sein, die nur hinter vorgehaltener Hand in Frage gestellt und notgedrungen um des lieben Friedens willen mitgemacht werden. Ich habe etwas in der Literatur gestöbert und lese Ihnen eine Passage vor, die das Ritual des „Tisches“ in aller Kürze verdeutlicht, der bei einem Fest eine wesentliche Rolle spielt:

„Abends wird am Esstisch vorgelesen. Die Petroleumlampe leuchtet sanft über der vollzählig versammelten Familie. Draußen hallt mit zunehmender Dunkelheit die Augustdämmerung.

Bei dem abendlichen Ritual haben alle ihre bestimmten Plätze: der Vorlesende, in diesem Fall Frau Karin, thront an der Schmalseite des Tisches. Sie liest aus „Jerusalem“ von Selma Lagerlöf vor. Karin zunächst sitzen die Mädchen mit ihren Handarbeiten. An der rechten Längsseite des Tisches drängen sich die Frauen. Martha malt mit einem/einen Pinsel auf Pergament. Svea hat Augen und Gesicht über ihrer schmerzhaften Krankheit geschlossen. An der unteren Seite beugen sich Ernst und Anna über ein ziemlich großes Puzzle, das auf einem Holzbrett ausgebreitet ist. Der Eisenbahndirektor sitzt in seinem Schaukelstuhl am Fenster (keiner der hier Anwesenden käme jemals auf die Idee, sich in diesen Stuhl zu setzen).

Johan Akerblom befindet sich außerhalb des Lichtkreises, sein Kopf ist der dämmernden Landschaft und dem kalten Mondlicht zugewandt, der die Blatter der Pelargonien in schwaches Violett taucht. Carl hat sich einen eigenen Tisch mit einer eigenen Petroleumlampe hereingestellt. Er beugt sich still schnaufend über eine Konstruktion aus Balsaholz und dünnen Stahldrähten.

Er behauptet, dass er einen Apparat zur Messung der Luftfeuchtigkeit konstruiert. Oscar und Gustav dösen wohl wollend jeder in seiner Ecke des langen Sofas unter der Pendeluhr. Auf dem Sofatisch steht ihr Abendgrog, Flaschen mit Vichywasser und Kognak.“ (Aus: Ingmar Bergmann, Die besten Absichten, 1991, Seite 125f.)

Frieda Martha, die in Berlin geboren wurde und in den 1960er Jahren an der Akademie der Bildenden Künste in München Malerei unter anderem bei Professor Reimer Jochims studierte, hat sich in ihren neuen Arbeiten Gedanken darüber gemacht, wie ein Fest auf dem Bild aussehen kann oder andersherum, was zu einem Fest gehört, wodurch es zu genau diesem wird und sie erinnert im gleichen Atemzug daran, was es einmal gab und was heute möglicherweise verloren gegangen ist bzw. sich verändert hat. Gemeint ist die Serie der schmalen Hochformate, die betitelt sind mit „Kleid 1, 2, 3 … etc.“+ Kleider, sorgsam gefaltet und lang, sämtlich in rontalansicht, tailliert und mit breitem Gürtel versehe „Die Trägerinnen dieser Kleider sind ausgeblendet. Lediglich die ebenso sorgfältig, anständig oder auch unschuldig vor dem Schoß gefalteten Hände verweisen auf ihre Existenz“ Könnten wir das heute noch, in so einem Kleid uns so unbedarft präsentieren? Oder ist diese Vorstellung schon immer ein Traum gewesen und zu keiner Zeit wirklich in Erfüllung gegangen?

Eines ruft uns Frieda Martha auf jeden Fall mit dieser unverblümten Frontalität ins Gedächtnis, dass Kleider früher in einer unmissverständlichen Sprache etwas ausgedrückt haben: Schwarz stand für Trauer, Weiß für die Taufe und die Hochzeit – Rot für das Verliebtsein?! Ihr geht es damit nicht unbedingt um eine Rückkehr zu alten Werten, die auch nicht ganz ohne waren. Sie macht lediglich darauf aufmerksam, dass es sie einmal gab und das in einer ziemlich direkten Bildsprache.

Auch wenn eine Frau niemals ein solches Kleid getragen hat, dämmert ihr dieses bestimmte Gefühl von Schönheit, die sie unangreifbar und für den Moment zu etwas Besonderem macht“ Frieda Marthas „Hochzeitskleid I und II“ besticht in diesem Punkt durch die Zartheit des über den gelborangefarbenen Stoff gelegten weißen transparenten Schleier und das zentral gehaltene Blumenbukett, ohne dass der dazugehörige Mensch sichtbar in Erscheinung tritt. Es ist einzig die Aura des Kleides. An den Anfang der „Kleid-Serie“ gehört das „Taufkleid“. Es stellt, wie der Titel sagt, die kindliche Variante des späteren Hochzeitskleides dar, und es trägt bereits schon etwas Heiliges, vielleicht auch Madonnenhaftes in sich. Doch bei dieser Idylle belässt es Frieda Martha nicht. Mit den übereinander geschichteten „Kinderkleidern“ – die Formate scheinen übrigens irgendwie den menschlichen Größenverhältnissen angepasst – konterkariert sie das allzu Schöne und opfert die filigranen Bordüren dem Mottenfraß.

Wofür die Bildaussage auch immer stehen mag, für das Ende jeder Kindheit oder dafür, dass es in einzelnen Regionen zukünftig zu wenig Kinder geben wird – ihre Arbeiten bleiben in den seltensten Fällen ohne einen Sinn stiftenden Hintergrund. Diese Vorgehensweise macht auch nicht vor der aktuellen Mode halt, wie ihr „Turnschuh“ zeigt, der ebenso wie die Kinderkleider einen alten antiken Biedermeierrahmen zum Kontrast erhalten hat. Zur modernen Ikone erhebe, die (fast) zu jedem Kleidungsstück tragbar ist, zeigt das weiß leuchtende Modell den unaufhaltbaren Wandel der Zeit an. Frieda Martha stellt fest und das auf erst recht einladende, geradezu romantisierende Weise, so dass der Betrachter sich gern ein Stück von dem Kuchen nehmen würde.

Sein anfänglicher Eindruck ist das Schöne, das Helle und Reine. Hierauf fällt er beinahe schon herein wie im Falle der sorgsam in Plastiktütchen verpackte „Embryonen“, die an einen in hellen Farbtönen gemalten „Berg“ geheftet sind. Dieser Berg könnte auch als „Rock“ gelesen werden, auf oder unter dem sich die noch neugeborenen Kinder befinden und vielleicht auch gar nicht das Licht dieser Welt erblicken (sollen). Zum Thema der „zwei Seiten der Medaille“ gehören ebenso die Bilder mit den Titeln „Grab mit Urne“, „Geboren in Lindenberg“ und „Gestorben in Lindenberg“.

Oder, und von Frieda Martha so zusagen selbst getestet, der überdimensionale Kronleuchter in den Arsenale der diesjährigen Biennale in Venedig. Betitelt mit „Die Braut“ macht seine üppige Eleganz nach kurzer Zeit der Verblüffung Platz: Nicht mund geblasenes Muranoglas lässt den Leuchter· erleuchten, sondern in Cellophan verpackte Tampons, von Joana Vasconcelos als Anspielung auf die New Yorker Guerrilla Girls gemeint, die das Geschlechterverhältnis in der Kulturszene analysieren und auf

diese Weise (humorvoll) attackieren. Die 2001 entstandene Arbeit zierte im August die Titelseite der ART, daneben die Headline „Fest der Bilder“.

Ich möchte an dieser Stelle kurz auf die Biographie von Frieda Martha nach Abschluss des Studiums der Malerei in München Ende der 1960er Jahre eingehen, um Sie auf die Vielgestaltigkeit ihres Tuns hinzuweisen, das sich in den gezeigten Werken spiegelt. Frieda Martha war unter anderem als Inneneinrichterin und Farbgestalterin tätig, bis heute als Grafikerin. Ihr Aufenthalt 1995 in Tansania dürfte sich mit Sicherheit auf die Bevorzugung der warmen Farbtöne ausgewirkt haben. Und noch ‘ein wesentlicher Aspekt, der ihre Arbeiten mit bestimmt, ist ihre über 30 Jahre andauernde Beschäftigung mit Bild- und Papiercollagen.

Vor fünf Jahren hat sie wieder angefangen zu malen – erst waren es Blumenmotive, dann kamen Essens- und Tischbilder. Bei letzteren wäre ich mit meinen Betrachtungen wieder beim Thema „Tisch“ und der heute vermeintlich verloren gegangenen Gemeinschaftlichkeit angekommen. Der Kleider-Wandel und der in dem Zusammenhang viel diskutierte Werteverlust gehören in den selben Kanon.